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dokumentierter text, der über die Mailingliste der Internationalen Schülerinnen- und Studentenproteste kam: Überblick über die Entwicklung der deutschen Hochschulen Ein wirklich ganz kurzer Überblick über die Entwicklung der deutschen Hochschulen seit dem 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des immer auch prekären Verhältnisses zwischen
Autonomie und Praxis. Die Geburt der deutschen Hochschule Als zu Beginn des 19.Jahrhunderts sich die bürgerliche Gesellschaft durchsetzte, gebar sie in Preußen die neue deutsche Universität, deren
Form bis zum heutigen Tage im Wesentlichen unverändert blieb. Jedoch war sie keine bürgerliche Institution. Die deutschen Kleinstaaten blieben nach Napoleon Feudalstaaten, während sich ökonomisch längst die bürgerliche
Produktionsweise durchgesetzt hatte. Als auch der spätest mögliche Termin einer bürgerlichen Revolution verpasst ward und die kapitalistische Produktionsweise bereits die nächste Klasse, das Proletariat, hervorbrachte, entstand
eine eigentümliche Koalition aus Adel und Bürgertum. Der Staat blieb weiterhin unter feudaler Regie, musste aber eine Politik für beide Klassen betreiben. Der Adel führte die Politik für die Bourgeoisie: ökonomische Tolerierung und
Förderung bei politischer Entmündigung. Dieser spezifisch deutsche Klassenkompromiss findet seinen Ausdruck im Humboldtschen Universitätstypus (der Prototyp davon ist die gleichnamige Berliner Uni). Damit war die wesentliche
Funktion des Apparates bestimmt: die Produktion von "universalen" Staatsbeamten, die ideell Über den Klassenwidersprüchen stehen sollten und den gefundenen Kompromiss abzusichern hatten. In der neuen Universität konnte
der deutsche Idealismus seine Wirkungsstätte finden. Die deutsche Bourgeoisie sah auch nach der schleichenden (nicht-revolutionären) politischen Emanzipation keine Notwendigkeit, die feudale Struktur der Universität zu verändern.
Die Entfesselung der Produktivkräfte verlangte die Entfaltung der technischen Wissenschaften auf Staatsebene, da sie die einzelnen Privatunternehmen nicht mehr sicherstellen konnten und die freie Auswahl der Arbeitskraft
einschränkten. Eine gezielte private wissenschaftliche Ausbildung kostet immens viel und bindet das einzelne Unternehmen zu stark an die selbst ausgebildeten Arbeitskräfte. Die staatliche Ausbildung eröffnet die, die allgemeine
Konkurrenz zwischen den wissenschaftlichen Arbeitskräften und ermöglicht eine freie Arbeitskraft- Auswahl des Einzelkapitals. Die Universität als staatliche Institution schafft - wie die anderen Staatsapparate - die allgemeinen
"gleichen" Konkurrenz- und Rahmenbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise: die Arbeitskraft kann "frei" wählen, an wen sie ihre Haut oder ihren Kopf verkauft, freie Auswahl des Einzelkapitals unter den
Arbeitskräften. Wie der Handlanger, so der Kopflanger. Zu diesem Zweck wurden vom Staat technische Hochschulen gegründet, in der das technische, für die Akkumulation des Kapitals direkt relevante Wissen produziert werden sollte.
Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entwickelte sich erst Preußen und dann Deutschland zum Obrigkeitsstaat, dessen Klassenkompromiss am deutlichsten im Zweierpack von Kaiser und Kanzler sichtbar war. Die Universität mit ihrer streng
hierarchischen Struktur und dem Lehrstuhlinhaber als Zwergenfürst war das Pendant zu diesem> Staatstypus. Feudale Form bei bürgerlichem Inhalt. Die Burschenschaften glichen sich genau diesem Typus an. Sie entwickelten sich zu
autoritär strukturierten und monarchistisch gesinnten Vereinigungen mit ausgeprägt völkisch-nationalistischer Weltanschauung. Der früher demokratisch angehauchte Liberalismus> (Wartburgfest 1817) hatte sich in
monarchisch-nationale Gesinnung verwandelt. Spätestens seit 1880 wurden Juden aus Burschenschaften offiziell rausgedrängt. Freiheit von Wissenschaft Eine privilegierte Position, wie die des Ordinarius, ließ sich
wissenschaftstheoretisch schwer legitimieren. Hier, wie auch im Staatskonzept, schlägt mensch am Besten bei Hegel nach. Im Prozess der Selbstfindung des absoluten Geistes wandert jener durch das Individuum: der Bildungsprozess. Das
heißt, je länger mann an der Uni ist, umso weiser wird mann. Oder genauer: Mann wird erst zur Person, wenn mann sich durch den Bildungsprozess aus der Unmittelbarkeit löst. Das "Emporarbeiten" des absoluten Geistes läuft
im Individuum Über Wissen. Diesen Weg der Reflexionen können aber nur einige wenige gehen, wie schon in Hegels großem Vorbild, der griechischen Polis. Das Menschwerden dieser Handvoll Privilegierter war und ist stets an eine Masse
Marginalisierter gebunden, die, die banalen Tätigkeiten des täglichen Lebens zu verrichten haben: in der Antike Sklaven und Barbaren, im Kapitalismus das Proletariat. So, frei von der Last der Produktion und Reproduktion, kann ein
elitärer Klüngel ("Freiheit der Wissenschaft") in den Tiefen der großen Probleme popeln. Die Bedingung der Wahrheitssuche war deshalb immer gebunden an die Nicht-Beachtung der gesellschaftlichen Widersprüche. In dieser
Wissenschaftsauffassung musste die Vernunft jenseits der konkreten Geschichte, die von Kämpfen bestimmt ist, in den Höhen idealistisch-metaphysischer Terminologie verbleiben. Das Zusammenführen des Nachdenkens darüber, wie es
denn für alle am Schönsten wäre, mit der geschichtlichen Realität war und ist so strukturell und universitätsinstitutionell unmöglich oder zumindest greift es tendenziell sich selbst an. Die Qualifizierung zu reflektiertem Denken
von breiten Massen ist innerhalb des Systems kontraproduktiv. Am Ende möchte jeder Hanswurst über das gute Leben räsonieren. Das elitäre Prinzip schreibt sich immer noch in die Köpfe deutscher Professoren und Professorinnen ein.
1970 hegten 90% der Habilitanden Genieverdacht gegen sich selbst. Ein - wirklich nun nur ganz kurzer - Blick auf 68 Die feudale Struktur der deutschen Universität blieb bis 1968 im wesentlichen
unangetastet. Sie hatte allen Stürmen der Geschichte getrotzt. 1871, 1918, 1933, 1945 ging - strukturell - nahezu spurlos an ihr vorbei. Die "Judenfrage" war für die Studierendenschaft schon 1920 endgültig geklärt:
"Die deutsche Burschenschaft steht auf dem Rassestandpunkt; nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich zum Deutschtum bekennen, werden in die Burschenschaften aufgenommen." (Eisenacher Beschlüsse der Deutschen
Burschenschaften) Von der Massenuni zur Zweiklassenuni Aber schon ab 1974 verlangte die
sich anbahnende ökonomische Krise und die reduzierte Nachfrage nach intellektuellen Arbeitenden nach Reglementierungen. Die alte Regulation, in der nur die Söhne der Reichen Studenten wurden, Individualisierte Strategien, lebenslanges Jobbing Die Hochschulen sind fÜr die meisten ihrer Insassen stinknormale Arbeits-/Ausbildungsplätze;
das Studium in Struktur und Inhalt kaum anders sind als die Friseur- oder Bankkauffrau-Lehre. Hier wie dort kommt es zu keiner offenen Revolte, jedoch zu massenhaftem Unterlaufen und informellem Kampf gegen vorgeschriebene
Zeitökonomien. Inhaltliches Desinteresse, gezinkte Unzeitgemäße Forderung Deshalb gleich Low-Intensity-Studium, Studium als Zustand, der immer noch gewisse Freiheiten verspricht, wenn es sie
auch zunehmend nur vorgaukelt. Der Besitz des Studierendenausweis, steuerliche Vergünstigungen und der relativ zum Normalarbeitsleben unüberwachte Status, billiges Mensaessen etc. sind natürlich weiter zu verteidigen. Trotz der
real zunehmenden Ähnlichkeit mit der Fabrik verkörpert auch die Massenuniversität immer noch die Utopie von der Beschäftigung mit interessanten Dingen ohne Stechuhr im Rücken, die Utopie vom befreienden Müßiggang. Mit den
wirklichen Lebensbedingungen des Studierendendaseins hat das natürlich wenig zu tun. Die Anpassung der Hochschulen ans Fabriksystem dient unter anderem der Vernichtung dieser Utopie: die Hochschule soll möglichst nicht
interessanter erscheinen, als die kapitalistische Durchschnittsarbeit. Die hochschulpolitische Strategie der Verteidigung einer "Autonomie der Wissenschaft" hat demnach einen ambivalenten Charakter. Einerseits fördert sie
die elitäre Abgehobenheit, die mit den realen Kämpfen nichts zu tun haben will, sie reproduziert genau jene Ausschlüsse, die 1968 in mühsamer Arbeit wenigstens teilweise abgebaut wurden. Andererseits kann die Autonomieforderung
kurzfristig den Einbau weiterer Selektionsmechanismen abwehren helfen. Letztlich muß die Forderung immer noch die gesellschaftliche Befreiung der Vernunft und die vernünftige Befreiung der Gesellschaft heißen. Die
Krise der Hochschulen, wie sie von allen Seiten bemängelt wird, macht noch mal deutlich, daß die obige Forderung mit dieser Uni nicht zu erfüllen ist. Solange die Hochschule im Rahmen des kapitalistischen Bildungssystems ihre Rolle
auch nur leidlich zu erfüllen vermag, bleibt sie strukturell ein wesentliches Instrument der Unterdrückung. Es kann wohl nicht darum gehen, die Uni zu reformieren, man muß sie zerstören. Die Krise der Uni ist die permanente Krise
der kapitalistischen Arbeitsteilung. Deshalb kann das Ziel nur die Aufhebung dieser Arbeitsteilung sein, was der Uni ihren derzeitigen Sinn nehmen würde: Einzelne Charaktermasken auf den vorgegebenen Treppchen der sozialen Leiter
zu postieren. Ein Arbeitspapier der sinistra! Radikale Linke
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